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„Es ist vorbei – nie – ist es vorbei“

Sonntag, 5. Oktober. Der Veranstaltungssaal im Gasteig ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Oberbürgermeister Ude nimmt in seinem Grußwort ausführlich Stellung zur Politik seines „Vorgängers“ von 1933-45, OB Karl Fiehler, der äußerst scharfe Maßnahmen durchsetzte, bevor sie auch im Nationalsozialistischen System gesetzlich verfügt waren, z.B. die Entlassung von drei Chefärzten des Schwabinger Krankenhauses Anfang 1933. Dann beginnt der Schriftsteller Gert Heidenreich seine Lesung aus Erinnerungen Betroffener und Dokumenten. Mit großer Aufmerksamkeit folgen die Zuhörer den Ausführungen von Dr. Axel Drecoll, Institut für Zeitgeschichte München, Mitautor der Dokumentation der Bayerischen Landesärztekammer, die vor 10 Jahren zum 60. Jahrestag erschienen ist. Er beleuchtet den historischen Kontext des Gesetzes vom 25. Juli 1938 und was der nüchterne Gesetzestext („§ 1 Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938“) für die Betroffenen und ihre Familien bedeutete. Dr. Drecoll und OB Ude verweisen auf das Schicksal von Prof. Benjamin (s. Titelbild MÄA im Juli). Anschließend reflektiert Dr. Renate Jäckle, wie unterschiedlich dies ungeheuerliche Geschehen heute und vor 20 Jahren behandelt wurde. Sie war federführend bei der Erstellung der Dokumentation der Liste Demokratischer Ärztinnen und Ärzte zum 50. Jahrestag, in der die Ergebnisse der Recherchen zu mindestens 270 in München betroffenen Kolleginnen und Kollegen veröffentlicht worden waren und die als Grundlage für die Ausstellung gedient haben. Es wird noch stiller als Nicolas Humbert, Filmregisseur aus München – Enkel von Dr. Max Mohr, dessen Schicksal Teil der begleitenden Ausstellung im Vorraum ist – von seiner Familie erzählt und aus Briefen des Großvaters aus dem Exil in Shanghai vorliest. Das anschließende Gespräch von Dr. Borys Salamander mit der Zeitzeugin Elisabeth Büscher – Tochter von Dr. Magdalena Schwarz, die deswegen überlebt hat, weil sie in der geschlossenen Abteilung des Schwabinger Krankenhauses versteckt wurde – lässt für die Zuhörer aufscheinen, was es damals für Menschen bedeutet hat, von Entwürdigung, Entrechtung und Deportation betroffen zu sein. Es lässt ahnen, was es für die Tochter bedeutet haben mag, bei der Gestapo einen Abschiedsbrief der Mutter abzugeben – in dem angekündigt wird, dass diese aus dem Leben scheiden werde – um das mutig entschlossene Handeln des befreundeten Kollegen, Dr. Schneider, abzusichern. Selbst für Humor ist bei dieser lebendigen Schilderung Platz. Über zwei Stunden gebanntes Zuhören klingen aus mit der Verlesung von Namen und Praxisadressen einiger der 270 betroffenen Münchner Ärztinnen und Ärzte, die in der oben genannten Dokumentation aufgeführt sind. Nur zögerlich leert sich der Saal.

Im Vortragssaal der Bibliothek folgt unmittelbar anschließend der Spielfilm „Professor Mamlock“ von Konrad Wolf (DDR 1961). Der bekannte DEFA-Regisseur hat das Theaterstück seines Vaters, des Arztes und Dramatikers Friedrich Wolf, aus dem Jahr 1934, verfilmt. Es handelt von der Diskriminierung der Juden bis hin zur Existenzvernichtung am Beispiel eines prominenten jüdischen Arztes in Berlin.

Dass so viele ihren Weg ins Gasteig gefunden haben ist gut. Aber – dass von den 14.000 Pflichtmitgliedern des ÄKBV über ihr Publikationsorgan, die „Münchner Ärztlichen Mitteilungen“ bzw. deren letzte Ausgabe, keiner von dieser Veranstaltung erfahren hat, sondern nur über persönliche Anschreiben, die Tagespresse, Mund zu Mund – Propaganda usw., ist schwer begreiflich. Es ist jedoch zu hoffen, dass die Referate von Dr. Drecoll und Dr. Jäckle in den MÄA veröffentlicht werden.

Hansjörg Ebell